Doppelausgabe von „Kunstschnee“ mit Michael Zachcial
HILDESHEIM. Nichtwähler aus Bequemlichkeit findet man überall. Eher selten sind Nichtwähler aus Überzeugung. Letzteres wäre Michael Zachcial, wenn man seinem Text glauben darf: „Ich gebe meine Stimme nicht ab, ich brauche meine Stimme nämlich selber.“ Gut, dass er sie behalten hat. Denn mehr als seine Stimme und eine Gitarre braucht der mehrfach ausgezeichnete Liedermacher nicht, um starke Musik zu machen.
In der Reihe „Kunstschnee“ im Galgenberg-Restaurant stellt er das gleich doppelt unter Beweis: als Herr Zaches im Kinderprogramm und als Zachze mit Chansons und Balladen für Erwachsene.
Zuerst kommt Herr Zaches: der Mann, „der die Suppe in die Tüte tut, Tüte tut, Tüte tut“, der vom „BärNilpferdSchwanKänguruhGnu“ singt und dann seine Zunge beim Zwischenspiel „entknoten“ muss. Lautmalerische und komische Rezitative, gemischt mit eingängigen Refrains und ergänzbaren Reimen – das ist das Erfolgsrezept, mit dem Herr Zaches zum Mitmachen animiert. Klatschend, singend, trampelnd und dichtend ist das Publikum mittendrin im Rhythmus statt nur dabei.
Da hat es Zachze schwerer, denn erwachsene Zuhörer sind zurückhaltender. Dass seine Musik trotzdem nicht an Lebendigkeit und Präsenz einbüßt, liegt an der Intensität, mit der Michael Zachcial den Raum ausfüllt. Man schließt die Augen und glaubt sich einer Band in voller Besetzung gegenüber – und wenn man die Augen öffnet, dann sitzt Zachcial allein auf der Bühne, seine Beine stampfen den Rhythmus, seine Finger trommeln auf der Gitarre, um dann von einem Moment auf den anderen das volle Klangspektrum ihrer Saiten auszureizen: groovige und rockige Anschläge, Blues, Rap, klassisch gezupftes Zwischenspiel.
Zur Energie der Rhythmen gesellt sich die Energie in Zachcials kraftvoller Stimme, mit der er wendig zwischen Klangfarben manövriert. Zachze berührt mit melancholischen Balladen von nomadischen Beziehungen: gefühlvoll und kräftig, doch nicht ungebrochen.
Zachze schlägt aber auch andere Töne an als Herr Zaches, Zachze macht Schluss mit Unverbindlichkeit. Zachze ist Bonzenpolemiker, Stammtischverächter, Märzrevolutionär, Kämpfer gegen soziale Ungerechtigkeit. Die provozierenden und sperrigen Texte seiner Arbeiterlieder bringen manchen auf Distanz, der zugleich von der Sogwirkung der Musik mitgerissen wird: Gerade das sorgt für Spannung. Show-Allüren liegen Zachze nicht, und das macht ihn authentischer als den clownesken Herrn Zaches und als Wecker und Wader zusammen.
Herr Zaches und Zachze, das sind zwei Facetten der Kunst: Der eine will vorbehaltlos mitreißen in den sinnlichen Strudel der Musik, der andere will auch intervenieren und provozieren.
Tatsache: Michael Zachcial braucht seine Stimme, zum Erfreuen, zum Anrühren und zum Anstoßen. Schön, dass er zumindest seinen Zuhörern davon abgibt. Denn gerade dadurch ist seine Stimme nicht verloren: Sie klingt noch lange nach. Rul
Hildesheimer Allgemeine Zeitung, 21.02.2006
mit freundlicher Genehmigung
Setliste:
Erster Teil: Ein neues Lied aus meiner Zeit (Fallersleben) – Der Therapeut – Hey Mama – Der Blutige Ernst – Werbung muss sein – Pickel am Po – Teppich Song – Bremen Song – Ich geb meine Stimme nicht ab
Zweiter Teil: 1920 die Revolution – Gedicht: Die Patrioten (Fallersleben) – Das erwachte Bewusstsein (Fallersleben) – Der Mann, der die Suppe in die Tüte tut – Alles Verkehrt – Alexandra – Zeig mir die Sterne – Immer Geradeaus – Feuer an der Ruhr – Neuland
Alle Texte und Kompositionen: Michael Zachcial, außer wenn was anderes vermerkt ist..