März 1920: Kapp-Putsch, ein rechtsradikaler Klüngel will die junge Weimarer Republik beseitigen, die sozialdemokratische Regierung flieht, die Arbeiter generalstreiken, der Militärputsch bricht zusammen, die Regierung kehrt zurück und schickt die Reichswehr gegen den andauernden Arbeiteraufstand im Ruhrgebiet. O-Ton eines Freikorpssoldaten:
„Pardon gibt es überhaupt nicht. Selbst die Verwundeten erschießen wir noch. Alles, was uns in die Hände kommt, wird mit dem Gewehrkolben zuerst abgefertigt und dann noch eine Kugel. Wir haben auch zehn Rote-Kreuz-Schwestern erschossen. Wie diese geweint und gebetet haben. Gegen die Franzosen waren wir im Felde viel edler.“
In Bottrop gibt es immer noch eine Loewenfeldstraße und einen Gedenkstein für das gleichnamige Freikorps. Aber auch der Arbeiteraufstand hat wie viele historischen Ereignisse seine Spuren und seine (Arbeiter)Lieder hinterlassen. Die Grenzgänger Michael Zachcial und Jörg Fröse sowie Ruhrpottbarde Frank Baier haben sich auf die Spurensuche begeben.
Frank Baier: „Außer längst vergriffenen Bänden erzählt davon kein dickes Buch: ein Tabu-Thema, bis heute!“
Michael Zachcial: „Wir kamen wieder auf den Riss in der Geschichte und dass keiner mehr die alten Lieder singt. Wir fangen wieder an.“
Grenzgänger und Baier verpacken den Agitprop in eingängige Musik mit Ohrwurm-Qualitäten, mal frech und ironisch, mal sentimental und melodramatisch. Zumeist unbekannte Volkslieder und Arbeiterssangeskunst, Texte von Erich Mühsam und Ferdinand Freiligrath sowie Songs von Rio Reiser und Rap (Hut ab, auch wenn ich diesem Genre nun überhaupt nichts abgewinnen kann).
Wen geht das etwas an? Alle, meint Michael Zachcial: „Menschen, die das ganz deutliche Gefühl haben, dass ihre Wirklichkeit nicht vorkommt in den Medien, dass ihre Geschichten dort nicht erzählt und ihre Lieder nicht gesungen werden: das ist die Hausfrau, der Punk, der Müllmann, die Kassiererin bei Aldi, Opa Weber und Erika Mustermann, die Kinder der Einwanderer, die wissen wollen, in was für einem Land sie eigentlich leben.“
Tom Keller, in www.folkworld.de , Januar 2007