„Die Schiffe nach Amerika“ von Piet Pollack
Nach der Euphorie der Endsiebziger schien eigentlich alles schon mal dagewesen Im Bereich „Deutsch-Folk“. Die Archive waren abgegrast, man hatte die meisten der „alten“ Lieder neu bearbeitet und auf Platte gepreßt. Viele Gruppen trieb es vom Folk-Revival weg in andere musikalische Sparten. Um so erfrischender – weil überraschend – das Programm der Gruppe Grenzgänger aus Bremen beim diesjährigen Folkförderpreis-Endausscheld in Rudolstadt.
„Die ganze Heimat – und das bißchen Vaterland“ heißt es, und beschäftigt sich mit der Auswanderungsproblematik, speziell nach Amerika. Von den „Achtundvierzigern“ des 19. Jahrhunderts reicht es über die Emigranten aus dem Hitler-Reich bis ins wiedervereinigte Deutschland, selbst zum reichen Einwanderungsland geworden.
Fazit des Konzerts: politische Volkslieder dürfen wieder Spaß machen! Minutenlanger Beifall sprach in Rudolstadt für den Erfolg des Konzepts. Piet Pollack und Ulrich Joosten unterhielten sich mit den Siegern des Deutschen Folkförderpreises 1995, den Grenzgängern Michael Zachcial, genannt Zachze, und Jörg Fröse.
Läuft Euer Programm mehr in kleineren Klubs? Oder ist „Open Air“ wie hier in Rudolstadt auch akzeptabel?
MZ: Bis 200 Personen in kleinen Klubs, da läuft das Programm am besten. So daß man noch akustisch spielen kann. Die theatralischen Elemente, die wir auch bringen, sind mit PA schwieriger. Wir wollen, daß inhaltlich viel „rüberkommt. Es ist ja kein Unterhaltungsprogramm pur, es gibt auch viel Information und Ernsthaftigkeit.
Wie lange habt Ihr Vorlauf für das Programm genaht? Ich nehme an, zuerst stand das Konzept und später kamen die Lieder?
MZ: Die Grundidee stammt aus dem Jahr 1988, als ich nach Bremen gezogen bin. Einflüsse gab es aus dem Ruhrgebiet, wo ich herkomme. Frank Baier zum Beispiel. Er hat Bergarbeiterlieder gesammelt und sie sehr locker auf der Bühne gespielt. Aber auch Werner Worschech. Das Prinzip war also, Traditionen aus der Region aufzugreifen und sie weiterzuentwickeln. Das hat mir sehr gefallen. Ja, und als Neubremer waren das für mich die Auswanderungswellen über die Bremer Häfen. Dann stießen wir auf den Satz, daß diese Lieder größtenteils unveröffentlicht sind.
Hoffmann von Fallersleben, der in Eurem Programm stark vertreten ist, hat viele seiner Auswandererlieder auf bestehende Volksliedmelodien geschrieben.
JF: Wie „Meinen Tobak bau ich mir“ zum Beispiel auf den „Yankee Doodle“! Er hat aber oft unklare Angaben gemacht, wie „auf ein Neger-Spiritual zu singen“. Dann haben wir versucht, herauszukriegen, welches es denn sein könnte.
MZ: Lange haben wir allerdings nicht gesucht und den betreffenden Text dann lieber selbst vertont, wie „Hier am Mississippi“
Wie seid Ihr an das Textmaterial gekommen?
MZ: Ganz einfach, in der Stadtbücherei Bremen. Da stand das Fallersleben-Gesamtwerk im Regal. Dann gab es eine Magisterarbeit im Deutschen Volksliedarchiv in Freihurg im Breisgau. Es waren alles nur Texte, das war das Hauptproblem. Wobei wir viel mehr Material zu unserer Thematik fanden, als jetzt im Programm verwendet wird.
Ihr habt das Programm zeitlich von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart hineingezogen, um die Problematik „Auswanderung“ auch aktuell einzubeziehen?
MZ: Als wir mit dem Programm anfingen -nach der Maueröffnung – war das auch die Zeit von massiven Übergriffen gegen Ausländer. Wir sind von vornherein mit der Fragestellung herangegangen: bei dieser Massenauswanderung von sechs Millionen Deutschen nach Amerika muß es einfach Parallelen zu heute gegeben haben. Wir zeigen den Spiegel, den historischen.
Sehr passend fand ich In diesem Zusammenhang den Text des Abgeordneten Gary Davis aus dem Jahr 1849. Wie seid Ihr an den gekommen ?
MZ: Da gibt es in Bremen eine fähige Stelle am historischen Seminar der Uni. Die heißt „Emigrationsforschung“ und mit dem Diethekm Knauf von dort haben wir schon Veranstaltungen gemacht. Er hat dann Dias gezeigt und Wissenschaftliches erzählt, und wir haben das Ganze musikalisch aufgelockert. Von ihm haben wir viel Material bekommen. 1992 war dann in Bremen die Ausstellung „Aufbruch in die Fremde“, die auch in New York auf Ellis Island gezeigt wurde und jetzt im „Deutschen Schiffahrtsmuseum“ zu sehen ist.
Nun von den Amerika-Liedern mal weg. Es soll auch nicht der Eindruck entstehen, daß Ihr ein reines Fallersleben- Programm aufführt. Was gibt es noch an relevantem Material für Auswandererlieder?
JF: Der Löwenanteil sind Volkslieder. Viele, deren Autoren nicht mehr bekannt sind, von denen wir nur noch den Übermittler kennen. Im DVA steht dann: „1941 gehört von…
MZ: Was gibt es noch? Tucholskys Lied : „Der Kompromiß“ zur Asyldiskussion. Dann gibt es Material der Dreißiger Jahre. Da wäre Carl Zuckmayer mit einem sehr schönen Text aus seiner Autobiografie. Die Suche war immer nach Liedern, die exakt und wortwörtlich Dinge aufgreifen, wie man sie aus anderem Mund heute gegenüber Ausländern gebraucht. Zum Beispiel sind da Mehrings „Emigranten-Choral“ Und ein Lied von Wolf Biermann, das er 1976 geschrieben hat, als er frisch „Westler“ geworden war. Ich habe auch ein eigenes Stuck geschrieben über die Besiedelung des Ruhrgebietes.
Wenn es aus Gründen der Aktualisierung angebracht ist, bearbeitet Ihr die Texte auch, wie bei dem Tucholksy-Stück zu hören ist?
MZ: Das ist ja Volksliedtradition!
JF: Der Hauptallteil der Arbeit ist das Kürzen. Wenn man drei Strophen hat und sagt damit alles Wesentliche, muß man die vierte bis siebte Strophe dann auch noch singen?MZ: Wir haben früher viel Straßen-und Kneipenmusik gemacht. Da muß man reagieren können und verändern, wenn man z.B. 40 Halbangetrunkene Menschen in einer Kneipe begeistern will. Da probiert man sich aus und merkt sehr schnell, was geht und was nicht. Das war lebens- und überlebensnotwendig.
Kommen wir zum Musikalischen. Der erste Höreindruck war: sehr abwechslungsreiche Arrangements für zwei Leute. Die Lieder klingen viel direkter und aggressiver als Vergleichbares aus den Siebzigern. Was ist Euer musikalischer Background? Einzeln, bitteschön!
MZ: ..sehr unterschiedlicher Background, oder?
JF: Eigentlich nicht. Michael schreibt Texte, komponiert, spielte Blues und auch Punk früher.
Michael, ist von Deiner Punkrock-Zeit was hängengeblieben?
MZ: Ich weiß nicht, vielleicht bei der Gitarrenarbeit. Die soll den Rhythmus geben, ein Fundament für die Lieder sein. Also eher „off beat“ spielen, Druck machen. Jörg ist zuständig für die melodiöse Feinarbeit, ich für den „groove“. Und die ganzen Phrasierungen! Ich habe, glaube ich, im ganzen Leben noch nicht eine Melodie so gespielt, wie sie notiert steht.
Angenehm fiel beim Konzert die saubere Artikulation des Gesangsparts auf, was bei anderen Gruppen nicht unbedingt selbstverständlich ist
MZ: Ich bin Geschichtenerzähler. Wenn du Geschichten vortragen willst, müssen die Leute natürlich den Text verstehen.
Geschichten erzählen im Sinne von Geschichte erzählen. Ihr geht mit einem geschichtlichen Ansatz an die Sache heran. Habt Ihr eine entsprechende Ausbildung als Historiker?
MZ: Es ist ein gemeinsames Interesse, es sind gemeinsame Hobbies, und es ist autodidaktisch. Wir greifen eben auf das zurück, was andere Wissenschaftler „ausgegraben“ haben. Uns interessieren eher die Gefühle der Leute, was daran zeitlos ist.
Ihr seid also nicht etwa Geschichtslehrer?
JF: Ich habe Musik und Englisch studiert.
MZ; Ich hatte drei Semester Soziologie, Politik und Germanistik. Dann habe ich schnell abgebrochen. Seil 1990 mache ich hauptberuflich Musik, in wechselnden Besetzungen. Erst alleine, dann schon als Duo Grenzgänger, allerdings mit einem anderen Kollegen, der nebenbei noch einen festen Beruf hatte. Ich war froh, als ich Jörg bei einer Session traf, der auch die nötige Zeit zum Musikmachen mitbrachte. Daneben läuft ein anderes Programm mit einem anderen Partner, meine eigenen Lieder. Der andere Partner ist Ralf Siebenand, der schon mit Günter Gall spielte. Unser Duo heißt Zachze und Zinnober.
JF: Bei mir fing es an mit Gitarrespielen. Woody Guthrie, Arlo Guthrie´s „Alices´s Restaurant“, klar! Die erste Platte, die ich zu meinem 18. Geburtstag geschenkt bekam, war eine Liederjan-LP. Da stellte ich dann fest, daß es auch Deutsche gibt, die sowas singen. Da habe ich dann weitergemacht, aber immer gemischt. Ich habe mich nie auf eine Richtung festlegen lassen. Alle vier bis fünf Wochen ist zum Beispiel in Bremen Folk-Session in einer Kneipe. Dann Bluegrass! Als ich in Lüneburg studierte, gab es dort eine rege Bluegrass-Szene, wo ich in verschiedenen Gruppen mitspielte. So bin ich im Laufe der Jahre von einer Richtung in die andere gesprungen. Mit Grenzgänger bin ich musikalisch sozusagen in die Heimat zurückgekehrt. Moderne Einflüsse von David Grisman und Mike Marshall haben mich auch beeinflußt. So paßt das gut zusammen: was Michael gesanglich macht, bringe ich instrumental. Es harmoniert sehr gut.
Warum mußten es gerade Mandoline und Quetsche sein?
JF: Eine typische Folkie-Taktik: alle Instrumente zu spielen, die man mit einmal schleppen vom Auto in die Kneipe kriegt. Außerdem fahren wir zu unseren Auftritten mit der Bahn, da sind die Hände mit zwei Koffern voll.
Euer Slogan lautet „Unbeschränkte deutsche Volksmusik“. Wie unbeschränkt geht es weiter? Tourt Ihr erstmal mit dem Programm!
MZ; Wir hoffen, daß der Deutsche Folkförderpreis dermaßen renommiert ist, daß man uns die Türen einrennt. Im Augenblick kümmern wir uns erst mal um den Vertrieb der CD. Wir vermitteln uns selbst, sitzen viel am Telefon, um Konzerte zu bekommen.
Ein weiteres Etikett für Euer Programm lautet „Folk-Kabarett“. Wie ist das gemeint?
MZ.: Wir haben es so genannt, weil eine Schublade verkaufstechnisch wichtig ist. Wenn wir keine angeboten hätten, wären wir erfahrungsgemäß in eine gesteckt worden. Der kabarettistische Ansatz ist wichtig, weil das Geschichtenerzählen im Vordergrund steht. Es sind kleine Szenen dabei, die Lieder werden auch kabarettartig eingesetzt. Außerdem hat Kabarett im Augenblick Konjunktur. Wir spielen auch in reinen Kabaretts und haben so Fans aus beiden Richtungen.
Euer Programm dauert zwei Stunden. Wie kriegt man das Publikum gehalten?
JF: Wir haben kein Problem damit. Die Leute sagen oft: „Schade, schon vorbei!“ Wichtig sind uns die Brüche: Wechsel zwischen Szenen, Liedern und Texten; Information und absurde Texte zum Beispiel. Die Emotionen, Gefühle eben. Ich habe mich ganz schnell in das Programm eingepaßt, weil das auch mein Ansatz war: Geschichten erzählen, fabulieren.